In der elsässischen Dorfnovelle "Der Bettler und sein Kind" von Alexandre Weill erscheint als schurkenhaft-komische Figur der intrigante Dorfschulmeister Balthasar, der sich unsterblich in das hübsche Mädchen Rickel verliebt hat. Rickel ihrerseits ist dem jungen Lenz zugetan, der durch gehöriges Mittun Balthasars einige Monate Gefängnis absitzen muss. Im "Komischen Zwischenspiel" zwischen dem zweiten und dem dritten Abschnitt der Novelle erhält er seinen gerechten Lohn. Ein Bekannter, Lase, eröffnet ihm eine vermeintlich sichere Möglichkeit, des Nachts zur Angebeteten zu gelangen, um ungestört mit ihr sprechen zu können; indes, der Leser ahnt schon die Falle:
"Lase konnte sich des Schmunzelns nicht erwehren, indem er hinzufügte: „Aber es darf nicht scheinen, als wüßte ich was davon. „Höre, Balthasar: Das Rickel schläft in der Oberstube. Gerade neben daran ist die Thüre zu der Hühnersteige, die sehr groß ist, weil meine Frau täglich die Eier darin holt. Von Außen geht ein Treppchen hinauf für die Hühner, die ganz gut einen Mann trägt. Die Oeffnung, woran eine Fallthüre ist, ist groß genug für einen magern verliebten Narr, wenn er sich platt wie ein Wiesel macht. Das Ganze geht mich daher nichts an. Du schleichst in die Hühnersteig durch die Oeffnung, gehst inwendig zur Thüre hinaus und stehst gerade vor Rickels Stube, die gar kein Schloß hat. Das Andere überlasse ich Dir. Ich werde gut schlafen." (S. 118 f.)
Balthasar kämpft mit sich und zweifelt, je näher die Nacht kommt, ob er wirklich wagen könne, diesen waghalsigen Plan, zu Rickel zu gelangen, in die Tat umzusetzen. Doch, die blinde Verliebtheit treibt den Armen vorwärts, der nicht ahnt, daß der Rat kein guter war:
"Das Erste, was Lase zu thun hatte, als er nach Hause kam, war, die innere Thüre des Hühnerhäuschens zu vernageln und zu verschließen. Dann holte er einige Freunde zusammen, und lud sie ein, mit ihm die Nacht im Wirthshaus zu verbringen, Schlag drei befanden sie sich hinter und in dem Hause. —
Balthasar ließ nicht lange auf sich warten. Er hatte eine Blendlaterne bei sich, beleuchtete damit die Hühnertreppe, die er ziemlich solid fand und wagte sich herzhaft darauf.
Auch ohne diese hätte er das Thürchen erreicht, aber kaum öffnete er es, so ertönte ein Gegacker und ein Geflatter darin, als erschiene ein Marder. Lase schlich sich an das Treppchen und warf die Laterne um, doch so, als sei dieß vom Winde geschehen. Balthasar erschrack, aber tappte doch an dem Thürchen herum, steckte den Kopf hinein und suchte hineinzuschleichen. Trotz seiner Dünnleibigkeit, hatte er Mühe, hineinzukommen. Das Geschrei in der Steige nahm immer zu, und um ihm ein Ende zu machen, schob sich Balthasar mit einem Ruck hinein, um zur andern Thüre hinauszukommen. Kaum aber war er drin, fiel das äußere Thürchen durch das Abschnellen eines Cordels zu. Vergebens suchte Balthasar eine Oeffnung, er ertappte nichts als Hühner und Eier, die er zerbrach und sich in ihrer Brühe herumwühlte. Nachdem er mehr als eine halbe Stunde gesucht, sah er ein, daß er gefoppt sei, und ergab sich in sein Schicksal, indem er jetzt darauf bedacht war, ohne Lärmen und Schande wieder herauszukommen. Seine Leidenschaft war plötzlich erloschen, seine Liebe ging in lauter Dotter auf, er verfluchte seine Thorheit, Lase, Rickel und Lenz und sann bereits auf Rache. Zuerst aber sollte er durch eine schreckliche Versuchung gehen." (S. 122 f.)
Der persönlichen Niederlage folgt am nächsten Morgen die öffentliche Bloßstellung, in der auch die Hühnertreppe und ein angestammter Bewohner der Hühnersteige ihre Rolle spielen:
"Kaum tagte es, so nahm Lase die Dorftrommel und schlug den Alarmmarsch im ganzen Dorfe. Fenster und Laden flogen von allen Seiten auf, Männer und Weiber erschienen auf der Straße und schrien: „Was gibt's? Was geht vor?" Lase, statt alle und jede Antwort, schrie zuerst: „Kikrikiki! Der Balthasar hat zum Rickel gewollt und sitzt im Hühnerstall und brütet junge Schullehrerlich aus — Gakragagaka!" — Und so gings weiter. In einem Nu war das Ober- und Unterdorf vor Lase's Haus. Hier bedürfte es einer Feder Homers, um alle die verschiedenen Gruppen und Mienen treu zu schildern, die eine nach der andern in den komischsten Kostümen vor die Hühnersteige kamen und sich die Seiten hielten vor Lachen. „Was Teufels wollt' er denn da drin thun?" fragte ein Bauer in einem komisch-ernstem Tone. — „Ho," versetzte ein Bursche, „den Hühnern die Schwänz' aufbinden" (elsäßer Sprichwort). Man öffnete das Thürchen und statt Balthasar, erschien ein großer dicker Hahn, der sich gravitätisch auf die Spitze der Treppe stellte und eins aus dem ff krähte. Allgemeines lärmendes Gelächter. — „Ho," hieß es, „das hat er vom Schulmeister gelernt, und er macht auch die Augen zu, um zu zeigen, daß er's auswendig kann. [...]" Plötzlich aber machte die allgemeine Heiterkeit einer finstern Besorgniß Platz.
Balthasar, den man endlich aufsuchte, lag leblos der Länge nach in der Steige, und als man ihn herauszog, fürchtete man sogar, ihn nicht mehr retten zu können. Sei es aus Mangel an Luft, oder auch durch durch die blutigen Schmähungen, denen er ausgesetzt war, er fiel in eine so schwere Ohnmacht, daß man ihn während einer halben Stunde vergebens mit Essig und Wasser bespritzen mußte. Endlich kam er wieder zu sich selbst, dankte weinend den Umstehenden, nahm das Ganze als eine Schickung von oben an, und wurde zu Lenzen's Mutter gebracht, was ebenfalls eine blutige Ironie der Dorfleute war; denn während diese ihn pflegte, erzählte ihr ein Mädchen die Wahrheit mit tausend Verzierungen und Schnörkeln und mit noch einigen innern Hinzusetzungen. —
Acht Tage darauf wurde Balthasar als Dorfschullehrer abgesetzt und in Ruhestand versetzt." (S. 123-126)
Alexandre Weill: Der Bettler und sein Kind. Elsässische Dorfnovelle. In: Ders.: Bilder aus dem elsässischen Volksleben. Novellen. Mit einem Vorwort von Heinrich Heine. Zweiter Band. 2., verm. Auflage, Stuttgart : Frankh'sche Verlagshandlung 1847, S. 1-157. (Quelle)
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