Freitag, 2. September 2011

Aufwartung an der Hühnertreppe :: 1867

"Das ganze Leben der Hühner hat das Volk mit Liebe beobachtet und in zahlreichen Sprüchwörtern wiedergespiegelt. Früh Morgens ist der Hahn, auch Gockel und Göker genannt, der erste wach im ganzen Hause und weckt mit seinem Krähen Hühner und Leute. Freilich „wird es Tag, wenn der Hahn auch nicht kräht", aber wir lassen uns doch gern vom „Hahnenrufe" den neuen Tag verkündigen, und eben so lieben es auch die Hühner, welche Abends so früh auf die Stange hüpfen. „Wer mit den Hühnern zu Bette geht, kann mit den Hahnen aufstehen" oder noch ausdrücklicher als Vorschrift für die Kinder gefaßt:

Früh mit den HüKnern zu Bette
Und auf mit den Heihnen zur Wette!

Es ist wahrhaft ergötzlich, zu sehen, wie nun am Morgen jeder auf der durch ihre Steilheit bekannten „Hühnertreppe" herabkommenden Henne der Hahn seinen Kratzfuß macht, um sie herumtänzelt und sie überhaupt mit ausgewählter Galanterie bewillkommt. Und dann fängt jeder Theil sein Treiben an nach eigner Art. Der Hahn durchmißt Hof und Flur mit seinem langsamen, stolzen Gange, und er „ist König auf seinem Miste." Wie die Fürsten auf der Bühne stolzirt er einher, deßhalb gilt sein Schritt für einen kleinen und kurzen."

Wilhelm Medicus: Die Naturgeschichte nach Wort und Spruch des Volkes. Nördlingen : C. H. Beck 1867, S. 6. (Quelle)

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